Definitionssache: Tragbarkeit

Posted in Angezogenes, Vermischtes by Kathrin on Dezember 7, 2014

 Nägel statt Knöpfen: wenn’s nach Hussein Chalayan geht, kann man so ziemlich alles an sich herumtragen

Sie sind plötzlich überall. Vormals selbstbewusst stilbegeistert und up to date was Trendfragen betrifft, haben sie eine merkwürdige Metamorphose vollzogen. Hin zu kleinlauten, unsicheren Fräuleins mit leicht eingedrehten Zehenspitzen, die uns Lesern aus Kulleraugen fragend ihre Zweifel entgegenschleudern:

Ist das eigentlich tragbar? Geht das heute denn so? Und, mein persönlicher Favorit: Darf man das überhaupt?

Die Antwort muss selbstverständlich lauten: Nee, natürlich nicht, strengstens verboten! Blau mit Schwarz kombinieren?! Ich glaub, es hakt! Den Rock als Kleidchen spazieren führen? Geht’s eigentlich noch? Da sind wohl alle Sicherungen durchgebrannt! Wenn ich solche Sätze lese, steigt leiser Groll in mir auf. In den letzten Monaten ist er jedoch leider nahezu ohrenbetäubend laut geworden. Das hat zwei Gründe.

Mal davon abgesehen, dass absolut niemand, der es selbstständig geschafft hat das Medium seines Vertrauens zu kaufen/clicken/lesen eine Anleitung braucht, wie man ein T-Shirt zur schwarzen Jeans kombiniert, so man ihm nicht das letzte Fünkchen kognitiver Fähigkeiten absprechen möchte, sind diese Floskeln vorallem eines: faul. Denn sie verwehren sich einem klaren Standpunkt, der möglicherweise Mut erfordern könnte – obwohl es ja beileibe nicht um die großen Fragen geht – und funktionieren gleichzeitig als schnelle Contentschleuder, der Leser bekommt dabei das Gefühl mitgeliefert, hier sei man noch wirklich an seiner Meinung interessiert, dabei ist es letztendlich nur der Klick, der zählt.

Ja, man kommt nicht umhin diese seltsame Meinungslosigkeit zu bemerken, die umgeht, dort wo man sich im Netz deutschsprachig mit Mode beschäftigt, die allerdings, erschreckenderweise, auch nicht vor den Redaktionen der großen Zeitungen halt macht. Das, was gute Modekritik ausmacht, ist nunmal Haltung. Haltung, die einer Kontextualisierung, einer Argumentation bedarf, Haltung, die zu einer anderen in Opposition steht, erst dann wird’s interessant.

Solange ein Etwas also um, auf, am Körper Platz findet, interessiert mich nicht das ob, sondern das wieso weshalb warum. Untragbar finde ich einzig und allein die Mutlosigkeit, nicht zu seiner Wahl zu stehen, ob das nun Kleidungsstück sei, Film, Buch oder Ausstellung. Denn viel mehr als bloß an der reinen Auswahl teil zu haben, möchte ich die Geschichte hören, die dahinter steckt, die Erinnerungen, die Phantasien, auch wenn sie einen schlussendlich nur zum banalen schwarzen Shirt greifen lassen.

Mannschaftsaufstellung

Posted in Assoziationskette by Kathrin on Januar 29, 2014

Gut aufgestellt

Gut aufgestellt*: Team Prada fotografiert von Steven Meisel, mal eben digital ins Trainingslager geschickt

Weil mir mein Lieblingsverein momentan verdammt auf die Nerven geht, muss eben mal wieder die Mode herhalten. Ein Leichtes, schließlich war in der Winterpause so einiges auf dem Transfermarkt los (Ghesquière zu Vuitton, Lieblingstrainer Zanini zu Schiaparelli, etc.) und mit den Haute Couture Schauen wurde auch gerade gewissermaßen das textile Championsleague-Finale ausgetragen, ein spannendes Match der höchst sportlich ausgestatten Finalisten Dior und Chanel, das letztendlich das Team um Erfolgscoach Raf Simons für sich entscheiden konnte. Nicht zu vergessen sei auch die Truppe von Miuccia Prada: eben noch die Herbstmeisterschaft gesichert, erreicht die Fans nun pünktlich zum Rückrundenstart das Mannschaftsfoto aus dem alpinen Trainingslager. Im Mittelpunkt: die extravaganten neuen Trikots in Juweltönen. „I want to inspire women to struggle,“ so die Trainerin nach dem letzten Spiel, und es ist davon auszugehen, dass die Mannschaft diesen Kampfgeist verinnerlicht hat und auch in den neuen Dressen weiterhin zu Höchstleistungen auflaufen wird. Lediglich die Kaderplanung scheint noch nicht ganz abgeschlossen zu sein, wie sonst ließe sich die zwölfte Frau auf dem Platz erklären?

Demnächst dann an dieser Stelle: die Berichterstattung zur stiefmütterlich behandelten Prada’schen Herrenkollektion, quasi dem Damenfussball der Modewelt.

*Schon klar, dass jetzt wohl das Höchstmaß an Photoshopdilettantismus erreicht ist, aber ist ja schließlich mein Blog, und hier wird wenig Wert auf Perfektion gelegt, umso mehr auf Mut zur digital-dystopischen Lücke.

Das Beste aus ungefähr zwölf Monaten

Posted in Vermischtes by Kathrin on Januar 11, 2014

Ragnar Kjartanssons S.S. Hangover im Arsenale (Biennale di Venezia 2013) / Rochas F/W 2013 Look 17
 

Anstelle eines langatmigen und überhaupt reichlich verspäteten Jahresrückblicks, gibt es heute ganz kurz und knackig meine Favoriten aus ungefähr den letzten zwölf Monaten. Ungefähr, weil ein Jahr in Wirklichkeit keine in sich geschlossene Einheit ist und das Gedächtnis auch eher selektiv arbeitet, vor allem wenn man nicht jedes Erlebnis photographisch festhält und digital ablegt. Dann stellt sich natürlich die Frage der Herangehensweise. Chronologisch vielleicht, da stünde dann die Simonsche Inszenierung von Sarah Kanes Gesäubert / Gier / 4.48 Psychose der Münchener Kammerspiele, die genau genommen schon im vorigen Jahr Premiere feierte, von mir aber im Februar gesehen wurde, an erster Stelle. Ist natürlich ein bisschen unfair dem zweiten Theaterhighlight gegenüber: Castorf inszeniert im Dezember Balzacs La Cousine Bette an der Berliner Volksbühne. Und spannt dank satinpyjamalastigen Kostümbild den Bogen zu meiner allerliebsten Kollektion des letzten Modejahres: Rochas. Die Herbst/Winterkollektion aus Marco Zaninis Feder vereint beinahe spielerisch Eleganz, Opulenz und Lässigkeit und bleibt dabei auch ein klitzekleines Bisschen altbacken, ohne aber verstaubt oder bieder zu wirken. Eine solche Kombination aus feinem Seidenpyjama und haarigem, aufgerautem Wollmantel hätte ich nur zu gern für ein bisschen venezianisches Dolce Vita durch die beeindruckende, spätsommerliche Kulisse der Biennale spazieren geführt. Zum Beispiel durch die Hafenanlage des Arsenale, in der Ragnar Kjartanssons S.S. Hangover den Flaneur melancholisch-majestätisch in ihren Bann zog.

Rochas F/W 2013 Look 4 und 20

Nach Venedig zog es mich gen Süden in ein gespenstisches Dorf am Meer, die Stimmung erinnerte mehr an Lynch als Fellini. Aber auch hier hätte so ein pastelliges Ensemble aus voluminösem Rock und passender Jacke eine gute Figur gemacht. Begleitet wurde ich von Venedikt Erofeevs Moskau-Petushki – die perfekte Reiselektüre – sowie den Essays von Siri Hustvedt. Das ganze Jahr stand im Zeichen der russischen Literatur, insofern ist es auch nicht verwunderlich, dass es ein russischer Roman ist, der sich zum Jahresende noch eben den Titel „Neues Lieblingsbuch“ erobert hat. Michail Bulgakows Meister und Margarita ist ein bombastisches Werk, das vergnügt, fesselt und sprachlich helle Funken schlägt. In diesem Sinne: Prosit Neujahr, weiter geht’s!

Von flüchtigen Momenten und entrückten Models

Posted in Assoziationskette, Vermischtes by Kathrin on Dezember 6, 2013

Models, open your eyes please! Unter diesem Appell versammelt percevalties eine belustigende Auswahl von Laufstegfotos, die genau jene Sekundenbruchteile festhalten, die vielleicht der Albtraum eines jeden Modeschöpfers sind: die Vision der Frau, die er entworfen hat, zerbröselt. So im Standbild fixiert werden die Models wieder zu sich selbst, ja, sie scheinen ganz bei sich selbst zu sein, fernab des Trubels, der sie momentan umgibt. Ohne den energischen, determinierten Blick, ohne die ihnen aufoktroyierte Rolle, wirken sie plötzlich fremdartig in der Bühnensituation der Modenschau. Unweigerlich versuche ich als Betrachter zu ergründen, wohin sich die Damen gerade wünschen. Welche Bilder sehen sie hinter geschlossenen Lidern?  Vielleicht unberührte Landschaften, ganz nah an der Stille der Natur, abseits von Blitzlichtern und Terminstress? Ich male mir aus, wie sie mit fest verschlossenen Augen geradezu traumwandlerisch den Laufsteg entlang schreiten. Sich unsicheren Schrittes den Weg suchen. Hie und da ein kurzes Verharren. Statt einigen wenigen kurzen aber spektakulösen Minuten könnte die Präsentation der Mode Stunden dauern. Ich stelle mir ungeahnte poetische Qualitäten anstelle des hektischen Zurschaustellens vor. Keinen Weckruf möchte ich den Damen ins Ohr flüstern, sondern: Augen zu lassen!

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Kleinkariertes weiterdenken

Posted in Assoziationskette by Kathrin on November 4, 2013

Martin Kippenberger NGD Hellblau (1987) / Prada F/W13 Look 46 und 7
 

Erste Assoziation: Picknickdecke. Sommerlicher Biergartenbesuch. Vielleicht ein schwingender Petticoat, Fünfzigerjahreidylle. Das blaupastellige Vichymuster ist so eng mit der Dingwelt verknüpft, dass es, auch entfremdet wie etwa in Martin Kippenbergers NGD Hellblau im Kunstkontext, stets mehr bleibt als reine Repräsentation. Gerade dieses Moment spiegelt auch die aktuelle Herbst/Winterkollektion aus dem Hause Prada wider. Das Karo ist einer der Klassiker, der wie ein roter Faden wiederkehrend Miuccia Pradas Kollektionen durchzieht. Doch ausgerechnet das unschuldige Vichykaro wurde hier geradezu bieder auf den Laufsteg gebracht: als weitschwingender Mantel, hochgeschlossener Zweiteiler oder aber als dirndlartig anmutendes Kleid; trachtig, fifties, in keinem Fall aber anders als erwartet. Die typisch markige Schrulligkeit, die man von Prada gewohnt ist, scheint erst auf den zweiten Blick durch. Das Styling lässt erahnen, dass wir es eher mit einer  hitchcockschen Heldin zu tun haben, deren Augen von den düsteren Seiten der heiteren Sommerwelt erzählen. Aber ja, da ist ja noch diese eine Ungereimtheit, allen Assoziationen zum Trotz geht es ja schließlich um Winterbekleidung. Die als Sommergewand hausieren geht und so ganz famos mit den Erwartungen des Betrachters spielt.